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What Pariser says

Mon petit Tourette (Teil 2): The Filter Bubble – What Eli Pariser Is Hiding from You.

„Das Fernsehen macht die Klugen klüger und die Dummen dümmer.“ – (Marcel Reich-Ranicky).

What Pariser claims

Das Gleiche gilt auch für das Internet, vom Gegenteil will ich mich einfach nicht überzeugen lassen. Mit entsprechend großer Verwunderung verfolge ich einen Diskurs der eigentlich eher in Richtung amtliche Verschwörungstheorie als in Richtung Wissenschaft geht. Internet Surveillance, Datensammlung, Profiling, Manipulation, Zensur und undurchsichtige, gesichtslose Konzerne hinter allem. In seinem Buch The Filter Bubble: What the Internet Is Hiding from You vertritt Eli Pariser die These, dass durch die zunehmende (Web-)Personalisierung ein gefährliches neues Wesen erschaffen würde: Der antidemokratische Mensch. Der Autor befürchtet, dass personalisierte digitale Filter wie Facebook, Google, Twitter und all die anderen unseren Kultur- und Informationshorizont einengen, sowie tieferen Einblicken und Lernmöglichkeiten wenig Raum lassen.

Eli Pariser ist entweder wahnsinnig naiv und nicht in der Lage größere Zusammenhänge zu erfassen oder ein Populist. Das erste wäre Dummheit, das zweite Bösartigkeit. Keine Ahnung, was in diesem Zusammenhang das geringere Übel ist. Zumindest von Kognitionspsychologie hat er keine Ahnung, laut Wikipedia aber immerhin er einen Bachelor in Jura und Politikwissenschaft -spräche also eher für seine Ahnungslosigkeit- und ist „left-wing political and internet activist, the board president of MoveOn.org and a co-founder of Avaaz.org. Das spräche jetzt wiederum eher für den Populismus.

Auch vom Kausalitätsprinzip scheint er noch nie etwas gehört zu haben. Unterm Strich stellt Pariser nämlich die folgende, ‚alarmierende‘ These auf: „The Internet is showing us what we want to see, not what we need to see!“ Dabei lässt er es ständig so klingen, als ob die dafür verantwortlichen Algorithmen uns in dieser Blase einsperren und es sich um einen willkürlichen und starren Zensurapparat handelt. Das Gegenteil ist in Wirklichkeit der Fall: Die Blase ist ein dynamisches und organisches Organisationsprinzip, dass sich ständig anpasst. Vorraussetzung ist natürlich, dass man grundsätzlich selbst kein total stumpfes und uninteressiertes Wesen ist. Die Kausalrichtung ist nicht die von Pariser angeprangerte ‚Das Internet macht uns dumm.‘ sondern eher ‚Wer dumm ist, der kriegt auch dummes Internet.‘ Die vielbeschworenen Algorithmen helfen uns bei der Orientierung in unserer individuellen Onlinewelt. Sie übernehmen bei der Sortierung von Informationen nach Prioritäten die Aufgaben die unser Gehirn in der echten Welt hat. Schließlich nehmen wir um uns herum generell nur Dinge war, die eine bestimmte Relevanz haben, weil es sonst zu einer kognitiven Überlastung kommt es sei denn man ist Dustin Hoffmann in Rain Man und mit dem will man ja auch nicht unbedingt tauschen. In der echten Welt bleibt folglich von den Nachrichten auch nur das hängen, was einen interessiert: Wenn drei Menschen die gleiche Nachrichtensendung sehen, gibt es drei verschiedene Wahrnehmungen. Es gäbe keine drei bis aufs Wort identischen Inhaltsangaben.

Pariser sehnt sich nach einem standartisierten Internet mit den gleichen ungefilterten Suchergebnissen für alle. Na herzlichen Dank. Irgendjemand müsste diese Standards natürlich festlegen, es sei denn es findet sich noch eine Möglichkeit nach jeder Suche jedes mögliche Suchergebnis ohne Priorität anzuzeigen. Da dann keiner auf der Welt mehr irgendwas finden würde, wäre das auf jeden Fall fürs erste schonmal ein gerechteres Internet. Dass dies rein technisch nicht möglich ist (den Monitor will ich sehen) und auch die kognitive Informationsverarbeitung (*dreh durch*) so nicht funktioniert, geschenkt. Dass aber datensammelnde Apps, Plattformen und andere Webangebote so per se als böse gehirnwaschende Stasiautomaten kategorisiert werden ist wirklich kurzsichtig. Die sammeln die Daten ja nicht einfach so, weil sie dann irgendwann mit einem großen „Haha!“ um die Ecke kommen, sondern weil die Daten eine Grundvorraussetzung für das funktionieren der angebotenen Dienste sind. Es findet kein Tausch Daten gegen Dienst statt, der Dienst IST die Organisation der Daten! Natürlich tun diese Unternehmen das nicht aus purem Altruismus sondern aus wirtschaftlichem Interesse, was unter Umständen ethisch-moralisch nicht einwandfrei sein mag. Der Kunde ist allerdings immer noch König, deshalb kann ich nicht glauben, dass diese Firmen im Gegensatz zum Staat bei dem die Gefahr der Zensur aus ideologischen Gründen heraus viel größer ist, ein Interesse daran haben ihre Kunden zu verprellen oder den Informationsfluss zu drosseln.

Pariser schließt sich hier ideologisch einer wachsenden Gruppe von Internetpessimisten an, deren im Jahrestakt erscheinden Publikationen davor warnen, dass das Internet dumm mache, sowie Kultur oder soziale Interaktion zerstöre. Dass sich diese reaktionäre Debatte bei jeder Etablierung eines neuen (Massen-)Mediums wiederholt, merken die gar nicht. Dabei ist es eigentlich noch nicht so lange her, dass beispielsweise erst das öffentlich-rechtliche und dann das Privatfernsehen als Grund für den Untergang des Abendlandes auserkoren wurde. Das ist Schnee von gestern und das Dschungelcamp der Liebling des Feuilletons. Im Internet lauert plötzlich die wahre Gefahr: Der Tenor ist, dass zunehmende Informations- und Medienpersonalisierung zu einer Art kommerzieller Gehirnwäsche führe. Absurderweise klingt in solch kritischen Stimmen immer der romantisierende Wunsch nach einer einfacheren Zeit mit. Früher war halt alles besser. Damals, als noch eine weise und ethisch-moralisch integere Medien- und Politelite existierte, die uns ihre Agenda vorgab und unsere Optionen wohlwollend in Hinblick auf das einschränkte, was besser für uns war. So toll war das früher allerdings auch nicht, da wurde gegessen, was auf den Tisch kam. Ich kann diesen Wunsch nach Deindividualisierung und medialer Gleichschaltung unter dem gutmenschelnden Deckmantel eines Cyber-Robin-Hood nicht nachvollziehen, zumal keine sinnvollen Alternativen genannt werden. Da muss man dem Autoren ja fast eine narzisstische Störung unterstellen.

Es wird wohl niemand abstreiten, dass wir heute informierter und interaktiver als jemals zuvor sind. Ich bin geradezu verliebt in das Web 2.0. Die Einbahnstraße wurde, ein Glück für uns (Pech für die Massenmedien), abgeschafft. Der Zugang zu einem unendlichen Strom von Informationen zu jeder Zeit, überall und für jeden ist eine großartige Entwicklung und verlangt eben ein Organisationsprinzip. Eli Pariser ist in diesem Zusammenhang mit all seinen Aktivitäten (MoveOn.org, Avaaz.org) die lebende Widerlegung seiner eigenen These und ein leuchtendes Beispiel für eine im Web 2.0 geborene partizipative Kommunikationskultur. Das Web 2.0 fördert kulturelle Heterogenität und gibt jedem Teilnehmer die Möglichkeit gehört zu werden.

What Pariser hides

So, ich ziehe mir jetzt noch ein paar YouTube-Videos rein.

PS: Ich weiss, dass das Buch von 2011 ist und somit schon fast kalter Kaffee sein sollte. Anlass für diesen Beitrag war, dass im Rahmen meines Masterstudiums innerhalb kurzer Zeit von zwei unterschiedlichen Lehrpersonen relativ unreflektiert auf The Filter Bubble aufmerksam gemacht wurde. Alles was ich hier schreibe ging mir dabei sofort durch den Kopf. Da ich aber die Leute die mit mir studieren und mich unterrichten nicht noch mehr quälen wollte als ich es sowieso schon mit meiner altklugen Art tue, biss ich mir bis hierher auf die Zunge. That’s why this is called ‚Mon petit Tourette (Teil 2)‘.

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